Beten mit Psalmen - Schmerzen und Angst
- bemindfulhopelove
- 20. Juni 2021
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Juni 2021

Gebet kann vieles sein: Musik hören, Gedichte lesen, die Bibel aufschlagen...
Ich hatte das Glück, als Jugendliche in den Limburger Domchor hineinwachsen zu dürfen. Im Chor haben wir immer wieder auch Psalmvertonungen gesungen.
Einer der Klassiker ist natürlich: "Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen!"
Meine Colitis bedeutet: oft Schmerzen und manchmal Ängste...
Ich habe durch meine Colitis ulcerosa leider schon das eine oder andere in meinem Leben ertragen müssen. Zum Glück bisher (knapp) noch keine Operation.
Aber unfassbare Schmerzen. Immer wieder Diskussionen, welche Schmerzmittel ich bekommen darf und möchte... - vieles macht eben doch auch abhängig. Erst auf Dauer, ja. Aber leider hat man mit einer Colitis oft Schmerzen auf Dauer.
Dazu kommen immer wieder vielfältige Zukunftsängste, die sich in einem breit machen. Hilflosigkeit. Manchmal Hoffnungslosigkeit. Trauer um das, was man im Leben nicht mehr haben kann. ... Es ist nicht immer einfach, je nachdem, zumindest wenn man sich gerade in einer schweren Schubphase befindet oder die Medikamente (mal wieder) Probleme bereiten...
Psalm 55: Könnte ich doch einfach davonfliegen...
Wir haben im Chor unter anderem den Psalm 55 gesungen:
"Hör mein Bitten, Herr! Neige dich zu mir! Auf deines Kindes Stimme habe Acht! Ich bin allein, wer wird mir Tröster und Helfer sein? Ich irre ohne Pfad in dunkler Nacht...
Die Feinde sie drohen und heben ihr Haupt! 'Wo ist nun der Retter, an den ihr geglaubt?'
Mich fasst des Todes Furcht bei ihrem Dräun. Sie sind unzählige - ich bin allein.
Mit meiner Kraft kann ich nicht widerstehen. Herr, kämpfe du für mich.
Gott, hör mein Flehn!"
...und dann:
"Oh, könnt' ich fliegen wie Tauben dahin! Weit hinweg vor dem Feinde zu fliehn!
In die Wüste eilt' ich dann fort, fände Ruhe am schattigen Ort..."
Ab dieser Stelle wird's richtig schön kitschig....:
Gebet ist ein Gespräch mit Gott
Wenn ich Ängste und Schmerzen habe, dann ist es insbesondere ein sehr persönliches Gespräch mit Gott.
Tatsächlich höre ich dieses Lied dann ziemlich oft (und singe mit... meine armen Nachbarn ;) ).
Aber auch den Psalm in der Bibel zu lesen, hilft mir...
Ja, aber...
Die Frevler?! Die Feinde?!
Der Tod soll über die Verbrecher kommen! ...die Bewohner des Ostens...??
Gott, stürze die Verbrecher hinab in ihr Verderben!!
In der Tat sind viele Psalmen erstens etwas unverständlich und zweitens recht brutal formuliert.
Was das Unverständliche angeht, kann ich nur Ausgaben wie z.B. die BasisBibel empfehlen, die viele Ausdrücke gut erklärt:
Bezüglich der Brutatiltät der Formulierungen halte ich es mit der "Allzweckwaffe" Pater Anselm Grün, der in einem seiner Bücher empfiehlt, sich Gedanken darüber zu machen, wer oder was die eigenen persönlichen "Feinde" sind. Die "Frevler". Die "Verbrecher".
Was es für mich persönlich bedeutet, wenn Gott sie ins "Totenreich" schicken soll.
Deshalb hier einige Ausschnitte* aus Psalm 55 ergänzt um meine persönlichen Gedanken im Krankheitsschub...
2 Öffne dein Ohr für mein Gebet, Gott!
Entziehe dich nicht meinem Flehen.
3 Gib auf mich acht! Antworte mir!
Ich bin verzweifelt und fassungslos.
4 Denn der Feind macht viel Lärm,
Der Frevler schreit, so laut er kann.
Sie lassen Unheil über mich kommen
(…).
Der Feind: er sitzt in dem Fall in meinem Körper. In meinem Darm, der entzündet und kaputt ist. Der Schmerzen verursacht - und so unschöne Seiteneffekte wie mein eines Auge halb erblinden zu lassen... Aber auch in meinem Kopf: meine Ängste sind Gedanken in meinem Kopf und keine realen Wesen. Sie könnten real werden. Hoffentlich werden sie es aber nicht. - Der Feind sitzt in meinem Kopf...
Der Frevler schreit laut: Mein Kopf glaubt oft nicht daran, dass schon alles irgendwie gut werden wird. Hey, ich bin echt bemüht! Aber wenn ich vor Schmerzen nicht mal gerade liegen kann (ganz zu schweigen davon, gerade stehen oder laufen zu können), macht es das echt schwer, an ein HappyEnd zu glauben. Mein Kopf schreit dann ziemlich laut - dass grad echt alles sch***e ist und auch bleiben könnte...
Sie lassen Unheil über mich kommen: es reicht, wenn's einem mistig geht - allein mein Darm lässt also wirklich schon "Unheil über mich kommen". Aber wenn dann der Kopf noch dazu kommt, der einen zusätzlich quält...
5 Mir pocht das Herz in meiner Brust,
Todesangst hat mich überfallen.
6 Furcht und Zittern packen mich,
Ein Schaudern hat mich erfasst.
Leider ist das tatsächlich leider oft ganz genau so...
7 Da sprach ich: »Wenn ich doch Flügel hätte!
Wie eine Taube wollte ich davonfliegen
Und mich woanders niederlassen.
8 Siehe, weit in die Ferne würde ich fliehen
Und die Nacht in der Wüste verbringen.
9 Ich würde mich eilig in Sicherheit bringen,
Vor dem Sturmwind, der über mich hinwegfegt.«
Sturmwind, der über mich hinwegfegt: auch das fühlt sich so an... wie ein Sturm, der in meinem Darm und in meinem Kopf über mich hinwegfegt... Ein Sturm, vor dem ich mich nicht schützen kann, weil der in mir ist.
Wüste: Anm. aus der BasisBibel: Ort des Rückzugs vor dem Lärmen der Feinde
Ich wünschte, ich hätte manchmal einen Ort, an den ich vor dem fliehen könnte, was in meinem Körper passiert...
(…)
13 Es ist nicht der Feind, der mich beschimpft. –
Und es ist niemand, der mich maßlos hasst. –
Vor ihm würde ich mich verstecken!
14 Nein, du bist es! Ein Mensch, den ich schätze,
Mein Freund, der mein Vertrauen besitzt!
15 Gern kamen wir in vertrauter Runde zusammen.
Im festlichen Treiben gingen wir zu Gottes Haus.
Der Feind in meinem Körper... Das ist kein Mensch von außerhalb. Niemand anderes. Es ist tief in mir selbst drin...
Das macht es umso schwerer zu ertragen und sich davor zu schützen...
16 Der Tod soll über die Verbrecher kommen!
Lebendig sollen sie in das Totenreich hinabsteigen!
Denn Bosheit wohnt in ihren Häusern und Herzen.
Der Tod soll über die Verbrecher kommen!: Ja, bitte, Gott! Mach', dass es einfach aufhört! Dass die Stimmen in meinem Kopf verstummen! Dass die Schmerzen aufhören...
17 Ich aber, ich rufe zu Gott,
Ja, der Herr wird mir helfen.
(…)
19 Er befreite mich von denen, die mich angriffen.
So ließen sie mich in Frieden.
Denn viele von ihnen standen gegen mich.
Denn viele von ihnen standen gegen mich.: Man könnte natürlich auch Positives in die Krankheit und in die Schmerzen hineininterpretieren. Und tatsächlich "nutze" ich das auch durchaus: meine Krankheit zeigt mir viel früher, als andere es bei sich bemerken, wo wir unsere menschlichen Grenzen haben! Wenn ich darüber hinaus gehe, dann geht es mir wie heute - ich habe Schmerzen. Wenn ich gut zu mir selbst bin, habe ich eigentlich in der Regel auch weniger Probleme...
Dennoch habe ich natürlich auch oft das Gefühl, dass meine Krankheit, meine Schmerzen und die Stimmen in meinem Kopf gegen mich sind...
Er befreite mich (...). So ließen sie mich in Frieden: Gebete können die Krankheit nicht heilen. Aber sie können meinen Kopf beruhigen. Und sie helfen tatsächlich ein bisschen gegen die Schmerzen (mein persönliches Placebo...). Mir geht es danach oft besser.
(…)
23 Übergib dem Herrn deine Last!
Er selbst wird für dich sorgen!
Zu keiner Zeit wird er zulassen,
Dass der Gerechte zu Fall kommt.
Ich finde es sehr tröstlich, einem Gott zu vertrauen. Ich muss das nicht mal in einem bestimmten Punkt tun. Das reine Vertrauen an sich hilft mir. Es erleichtert mich.
Und im Gebet tue ich genau das: ich spreche alles aus, was mich belastet, ich klage Gott an, ich trauere, ich bin wütend... ich übergebe dem Herrn meine Last...
(Hört ja sonst keiner zu - kann also keiner albern finden, welche Ängste ist habe...)
24 Du aber, Gott, stürze die Verbrecher hinab,
Hinab in das Totenreich, in ihr Verderben.
(…)
Ich aber setze mein ganzes Vertrauen auf dich.
Wenn meine Ängste und Schmerzen für einen Moment gelindert sind, hilft mir das oft einfach schon wieder für eine Weile auf die Beine. Und wenn es dann wieder nicht geht... geht's zurück ins Gebet. ;)
In dem SInne.. kann ich nur empfehlen, ab und an die Psalmen aufzuschlagen und ein bisschen darin herumzublättern...
(*Ich bin kein Freund davon, einzelne Stellen aus der Bibel aus dem Zusammenhang zu nehmen. Zum einen "verschweigt" man damit die Stellen, mit denen sich viele Leser schwer tun, wenn sie den Text dann im Original lesen - und meine persönliche Erfahrung ist, dass das nicht hilft... Zum anderen muss man immer "höllisch" aufpassen, dass man den Sinn nicht verfälscht...
Hier habe ich es dennoch getan, um den Artikel leserlich zu halten.
Das Original ist unter dem oben stehenden Link auf die BasisBibel zu finden.
[Ich finde, dass gerade die Psalmen in den verschiedenen Übersetzungen sehr unterschiedlich gut zu lesen sind - die Variante von Psalm 55 in der BasisBibel ist... ganz gut. Leider nicht poetisch, aber verständlich.])










Kommentare