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Zu Gott sprechen wie zu einem Freund (aka: Beten)

  • bemindfulhopelove
  • 6. Juni 2021
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. Dez. 2021

Vom Fasten zum Beten...

Ich saß in meiner "Stamm-Apotheke" und habe darauf gewartet, dass meine Infusion ankommt, um sie dann mit zum Arzt zu nehmen, als mir aufgefallen ist, dass ja eigentlich demnächst Fastenzeit ist und ich irgendwie keinen Plan habe, was ich damit anfangen soll. Gläubig: puh, ja, schon. Aber ... zwischen höchst gesunder Ernährung, weil ich sonst schlicht Schübe bekomme, und aus demselben Grund: Intervallfasten, Alkoholverbot, Zuckerverbot... Was soll man da noch Fasten? Smartphone-Fasten?! - Na ja, ich lese auf meinem Smartphone Zeitung und bin darüber (gerade in Corona-Zeiten) mit meiner Familie verbunden... TV-Fasten? - Guter Witz. Ich hatte 5 Jahre keinen Fernseher und nur mein neuer Freund hatte damals einen vermisst, sonst hätte es gar keinen gegeben... Auto-Fasten... Jaaaaa, kann man machen...


Letztlich waren die Fragen: Was ist Fasten überhaupt? Warum macht man es? Worum geht es?

Kurzfassung nach einiger "Recherche": es geht darum, das Herz für Gott und für die Mitmenschen zu öffnen. Und um das zu erreichen: zur Ruhe zu kommen, sich auf sich (und auf Gott) zu besinnen. Auch: selbst zu heilen.

Und in dem Zuge bedeutet fasten, das zu unterlassen, was uns an der Konzentration auf unser Inneres hindert. Das kann übermäßiges Essen zum Stressabbau und zur Ablenkung sein. Oder Alkohol. Oder übermäßiger TV-Konsum. Oder das Smartphone - Stichwort: FOMO...

Und es geht darum, eine Basis zu schaffen, auf der wir uns konzentrieren können: Ruhe, einen gesunden Körper, etc. Daher: Laufen statt Auto fahren.


Meine zwei Lieblingsaussagen zum Fasten stammen von Anselm Grün:

Fasten bedeute... ...mich von dem zum befreien, was mich ablenkt, und nach innen zu schauen, um Gottes Liebe und Gerechtigkeit zu erfahren. ...einen Raum in meiner Seele zu schaffen für die Erkenntnis der Gegenwart Gottes in mir.

Und zum Fasten gehört tatsächlich auch das Beten.


In diesen 30 Minuten Wartezeit in der Apotheke habe ich für mich ganz persönlich und im Stillen den Vorsatz gefasst: dieses Jahr wird gefastet. Und zwar so, dass ich zur Ruhe kommen und den "Raum in [meiner] Seele schaffen" kann "für die Gegenwart Gottes".


Und zu diesem Vorsatz gehörte, dass ich mir vorgenommen habe, beten zu lernen. Jeden Tag einmal zu beten.



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Was ist Beten?

Gesagt, getan. Ich habe mir Gebete angesehen. Das Internet durchforstet. Bücher angeschafft (und auch echt gelesen ;)).

Und natürlich dasselbe Problem gehabt, das wir irgendwie alle haben: die Sprache macht es auch mir schwer, eine echte Beziehung mit ins Spiel zu bringen, wenn ich bete!


[Unfassbar, wie sich die Kirche derart über Sprache definieren und abgrenzen kann - nur um sich dann darüber zu wundern, dass das alles kein Mensch mehr versteht und dass ausgegrenzte Menschen halt einfach nicht (mehr) in die Kirche gehen...]

Und gleichzeitig... kann ich vor Gott sitzen und still werden. Und das ist beten.


Auf diese Weise habe ich erfahren, dass es viele Möglichkeiten gibt, zu beten. Viele Gründe, zu beten. Auch: dass die Kirche mitnichten davon ausgeht, dass Gott Gebete in Taten "verwandelt". Und dass sie dennoch gute Gründe kennt, weiterzubeten.


"Gebete haben nicht die Absicht, die Welt aktiv zu verändern. Aber ihre verwandelnde Kraft verändert den Menschen. Und solche Menschen werden bereit sein, die Welt (...) zu verändern (...)."

(["Altes"] Gotteslob, 11. Auflage, 1996)


Die Facetten, die für mich persönlich wichtig sind (übrigens: nicht "waren" - denn ja, ich bete seitdem täglich, allerdings nicht auf Knien mit gefalteten Händen abends am Bett mit einem festen, vorformulierten Gebet ;)), möchte ich hier ein bisschen beschreiben.


Welche Formen des Gebets gibt es?

Man kann mit den Händen beten, mit dem Körper. Man kann laut beten und leise. Man kann Worte gebrauchen und man kann stumm vor Gott sitzen.

Man kann einfach still in sich hineinhorchen: was kann ich in mir, in meinem Herzen hören?

Man kann singen. Man kann lesen. Man kann meditieren. Man kann alleine beten oder mit anderen. Im persönlichen Gespräch mit Gott oder feste Gebete wie das "Vater unser" sprechen - oder auch Gedichte und Psalmen.


Gebet kann auch sein, die wunderbare Schöpfung Gottes zu betrachten - ob in der Natur oder die durch den Menschen geschaffene Schönheit (also: Kunst, Architektur, Musik, ...).


Es gibt viele Formen des Gebets, manche passen zu mir persönlich, andere befremden mich.


Warum beten wir?

Um zur Ruhe zu kommen. Und mit Gott zu sprechen. Oder auch: einfach so.

Man kann für Menschen beten, die einem am Herzen liegen.

Man kann für die eigene Gemeinschaft beten. Für andere Menschen in dieser Welt.


Was ist der Inhalt eines Gebets?

Erst einmal alles, was einem am Herzen liegt. Tatsächlich hilft es, das auch in echte Worte zu fassen. Man muss sie nicht aussprechen (ich bin nicht der Typ für so was...). Aber man kann sie im Geist formulieren und "vor Gott bringen", also: die ganze Sch***e wirklich an Gott adressieren, ihm direkt "ins Gesicht sagen" (oder halt: denken). Es macht einen Unterschied. :) Es hilft.


Davon abgesehen: ich selbst bin nicht so sehr der Typ Mensch, der "im Leid" zu beten anfängt. Meine Sorgen und meine ... sagen wir es offen: Schmerzen, Zukunftsängste, Hoffnungslosigkeit usw., die ich häufig gerade rund um meine Krankheit zum Beispiel empfinde, kann ich zwar "bei Gott abladen", aber das ist nicht mein persönlicher Antrieb für das Beten.


Man kann im Gebet auch vieles anderes ausdrücken:

- Dank und Dankbarkeit

- Freude

- Lob

- Bitten für mich, für Freunde/Familie, für jeden Menschen und zu jedem Thema

- ich kann auch Segen für mich und für andere erbitten

- um Orientierung, wenn ich meinen Weg suche, wenn ich das Gefühl habe, dass ich eine "Kurskorrektur" brauche

- z.B. auch: für Geduld im Umgang mit meinen Mitmenschen

- für einen guten Tag, als Tagesrückblick, für eine gute Nacht oder zwischendrin um Ruhe in einem stürmischen Tag...

- einfach: Gebete mit dem Inhalt unseres Glaubens: z.B. das etwas poetischere große Glaubensbekenntnis


"Wir (...) dürfen (...) zum Vater kommen, wie wir sind - in unserer inneren Hetze, in unserem Unvermögen, uns zu sammeln und die rechten Worte zu finden, mit unseren Schwierigkeiten (...)."
"Wichtig ist nur, dass ich zu ihm gehe und dass ich glaube, in ihm zur Ruhe zu kommen und geheilt zu werden. Wenn ich das tue, (...) finde [ich immer wieder] die Richtung [in meinem Leben] (...)."

Aber eben auch:

"Der Christ hat nicht nur den Auftrag, für sich selbst zu beten; (...)"

Und genau in dem Zusammenhang dann auch die schon oben zitierte Aussage:

"Gebete haben nicht die Absicht, die Welt aktiv zu verändern. Aber ihre verwandelnde Kraft verändert den Menschen. Und solche Menschen werden bereit sein, die Welt (...) zu verändern (...)."

(["Altes"] Gotteslob, 11. Auflage, 1996)


Wie sollen Gebete die Welt verändern?

Indem ich Gebete spreche, lenke ich meinen Kopf von mir selbst ab - hin zu den Menschen, die ich liebe, zu Menschen, denen es schlechter geht als mir, ...


Ich lenke meine Gedanken dahin, wo und wie ich anderen heute "Gutes" tun kann, und sei es nur, indem ich morgens im ersten Termin nicht gleich den ständig nervenden Kollegen anpampe.

Ich lenke meine Gedanken dahin, dass Menschen Gründe für ihr Verhalten haben könnten, die ich nicht sofort sehe oder verstehe.

Ich lenke meine Gedanken auf den Lebensweg, den ich vielleicht gehen möchte. Auf den Wert, den ich für andere haben kann. Auf den viel beschworenen "Sinn des Lebens". Und darauf, dass ich selbst immer irgendwo irgendetwas Gutes beitragen kann.


Ich lenke meine Gedanken natürlich auch auf Aspekte des Glaubens.

Aber auch auf Fragen, die hinter dem Glauben stehen. Ich persönlich finde das "Vater unser" weniger quälend, seit ich einen schönen Text gelesen habe, der sich mit der Bedeutung der einzelnen Zeilen beschäftigt.


Ich tue mich generell unheimlich schwer mit dem Schuld-Begriff.

Aber ich merke, dass es etwas in mir verändert hat, regelmäßig zu beten: "wie auch wir vergeben unseren Schuldigern". Auch in meinem Leben gibt's ne Menge Menschen, die ne Menge Mist angestellt haben (im Kleinen, wie auch wirklich im sehr Großen).

Aber irgendwie kann ich damit entspannter umgehen, seitdem ich jedes Mal bei dieser Zeile an diese Menschen denke und ihnen ein Stückchen das vergebe, was passiert ist. Tatsächlich konnte ich auf die Art mit einigen Themen abschließen, die mich seit Jahren irgendwie immer noch im Hinterkopf begleitet haben.

Nicht umsonst wird empfohlen, sich Mantras an den Spiegel zu hängen, die man sich jeden Morgen vorsagen soll... Scheint wohl was dahinter zu stecken...


Und was bete ich nun konkret?

Es gibt einige wirklich schöne Gebete, die teils im Internet, teils in Büchern gesammelt und weitergegeben werden.

Ich werde mit der Zeit das eine oder andere solche Gebet, der mir persönlich gut gefällt, aufnehmen.


Einige sind übrigens (auch zu meiner Überraschung...) im Gotteslob zu finden. Zum Beispiel auch eins von Pater Ansel Grün:

"Segne mich, guter Gott, und alles, was ich heute in die Hand nehme. Segne meine Arbeit, damit sie gelingt und auch anderen zum Segen wird. Segne meine Gedanken, damit ich heute gut über die Menschen denke. Segne meine Worte, damit die in ihnen Leben wecken. Segne mein Leben, damit ich immer mehr das einmalige Bild verwirkliche, das du dir von mir gemacht hast. Segne alle Menschen, die ich in meinem Herzen trage, du, der gütige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist."

Übrigens bedeutet das Gebet für mich persönlich, dass ich...

...meine Gedanken dahin pole, dass mein Arbeitstag gut werden wird (self-fulfilling prophecy)...

...auch mal was für meine Kollegen tun kann und nicht nur meine Sachen machen muss... :-D

...heute einfach mal gut über die Kollegen denke. Über alle. Auch über den Vollhorst, der... lassen wir Namen hier mal raus.. :)

...Talente habe, die andere nicht haben, und mit denen ich die Arbeit anderer ergänzen kann und damit einen Mehrwert produziere - wenn ich es auch wirklich mache...


Ach, und, oh stimmt, kleiner Reminder an mich selbst: ich glaube tatsächlich an einen barmherzigen Gott... Geht im Alltag ab und an vergessen. :-D Jedenfalls bei mir.


Ich werde aber auch schöne Gebete aus meiner Gemeinde nehmen, genauso wie persönliche Gebete - persönliche Gespräche, kleine Alltagsgebete, meinen persönlichen Bezug zu Psalmtexten, die mich bewegen, auch Lieder, die mich sozusagen im Herzen mitbeten lassen usw.



Auf diese Weise bin ich irgendwo bei der Frage "Wie betet man?" gestartet, habe schöne, poetische Gebete gefunden, schöne Gesten (zum Beispiel, Gott die eigenen Gedanken mit den offenen Händen "hinzuhalten"), schöne Meditationen und schöne "normale" Gebete in Alltagssprache.


Ich habe Stille und Ruhe darin gefunden, einfach "vor Gott" zu sitzen. Ich habe mein Sorgen und Nöte bei Gott abgeladen (manchmal durchaus vorwurfsvoll). Ich habe meine eigene innere Sprache mit Gott gefunden.


Und tatsächlich habe ich darüber auch wieder einen Zugang zum Gottesdienst gefunden, weil das "vorgegebene" Gebet meinen Blick öffnet für die blinden Flecken in meinem Leben - wo ich zu sehr um mich selbst kreise, wo ich übersehe, dass andere vielleicht auch von mir etwas brauchen könnten (Thema: Fürbitten zum Beispiel)... Außerdem finde ich das gemeinschaftliche Beten bewegend - jedenfalls, wenn die meisten Mitglieder der Gemeinde ehrlich mitbeten und die Worte nicht in sich hineinkauen (seit der Erkenntnis bete ich selbst ordentlicher mit :-D).


Ich hoffe, das hilft ein wenig bei der Frage, wie man heute noch beten kann und wie man selbst auch beten möchte...


Zum Abschluss noch eine kleine Videoempfehlung:

"Zu Gott bete ich wie zu einem Freund", Pater Anselm Grün


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