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Im Gebet an Schmerzen, an Krankheit verzweifeln...

  • bemindfulhopelove
  • 13. Juni 2021
  • 6 Min. Lesezeit

Letztes Jahr haben wir meine Medikamente gewechselt.


Vor Jahren war ich länger im Krankenhaus gelandet, weil mein damaliges Medikament mein Immunsystem hatte zusammenbrechen lassen.

Anschließend konnte ich keines der gängigen Medikamente bekommen und war in eine Medikamentenstudie zu einem neuen, nebenwirkungsfreieren Medikament aufgenommen worden.

Das hat lange Zeit super gewirkt. Dann wollten wir versuchen, Kinder zu bekommen, und meinem Frauenarzt haben die Studien zu diesem Medikament nicht ausgereicht. Also haben wir auf ein anderes, älteres Medikament gewechselt.

Schwanger wurde ich nicht. Dafür habe ich von dem anderen Medikament sehr schwer Migräne und ein Chronisches Fatique Syndrom bekommen. Mit starken Einschränkungen in meinem Leben habe ich die Nebenwirkungen im Rahmen halten können. Aber als dann klar war, dass kein Kind mehr kommen würde, wollten wir natürlich auf das neuere Medikament zurückwechseln.


Und das ging gründlich schief.

Der Medikamentenwechsel war enorm anstrengend für meinen Körper. Und, warum auch immer, hat das Medikament nun bei mir nicht mehr ausreichend gewirkt. Ich habe einen Schub bekommen, musste mein Sozialleben massiv einschränken, konnte teilweise nicht mehr arbeiten gehen, hatte nur noch Schmerzen, habe kaum geschlafen, wurde depressiv, war unendlich müde und wollte all das auch einfach nicht mehr...

Es hat fünf Monate gedauert, bis wir das Medikament wieder zurückgewechselt hatten. Einen weiteren, bis es wieder ausreichend gewirkt hat.


Und über allem schwebt die ständige Angst: mein Dickdarm ist inzwischen so stark geschädigt, dass ich beim letzten schweren Schub das Gespräch führen musste, dass er rausoperiert werden müsse. Durch die Medikamentenstudie konnte das verhindert werden. Aber mit jedem Schub wird er weiter geschädigt. Immer ist da diese Angst, dass der Dickdarm raus muss. Stoma. Pouch. Mehrere schwere Operationen. Monate, um gesund zu werden. Jahre, um wieder voll im Leben zu stehen. Ein Beutel am Bauch - mit dem ich mich nicht mehr zeigen würde. Und die Auswirkungen auf mein Leben: Verrentung, kann ich die Miete noch zahlen?, wie verändert sich mein Umfeld?, was ist mit meinen Hobbys?... Wie wird mein Leben danach aussehen? Was werde ich noch können? Werde ich wieder arbeiten können?


Und auch immer wieder die Erfahrung, die ich schon einmal im Krankenhaus gemacht habe: dass das Leben zu Ende sein kann. Plötzlich. Unerwartet. JETZT.


Natürlich habe ich wundervolle Menschen um mich herum, die mich aufgefangen haben. Die für mich da waren. Die mir immer zugehört haben.

Aber ich kann und möchte mein Umfeld mit diesen Dingen meistens nicht belasten. Denn: die Menschen, die ich liebe - die Menschen, die mich lieben (!), leiden auch darunter, wenn es mir schlecht geht. Sie haben Angst davor, mich zu verlieren. Diese Situationen belastet auch sie enorm.



In der Situation hat es mir sehr geholfen, zu Gott beten zu können. Vor Gott verzweifeln zu können.

Ihm vorzuwerfen, was in mir vorgeht, was mich bewegt und was mich zu zerbrechen droht.


Und dann aufzustehen, meine Tragbahre zu nehmen und zu gehen. [Mt 9,6]


Meinen ganzen Frust, meine Ängste, mein Leid abzuladen. Und dann alles unter den Arm zu nehmen, mich davon nicht lähmen zu lassen, im Alltag stark zu bleiben - und doch immer wieder zurückkehren zu können, wieder verzweifeln zu dürfen, wann immer ich es brauche.



Ich bin tatsächlich nicht in meiner eigenen Gemeinde gegangen, um zu beten, weil ich Rückzug brauchte, um ganz "mit Gott allein" sein zu können.


Ich bin nach Mainz in die schöne Gotthard-Kapelle gegangen. Ich habe in der Kapelle auf dem Boden gesessen. Ich habe Jesus am Kreuz angesehen - Gott! ...und gleichzeitig in menschlichem Leiden mit uns verbunden... Ich hatte Zeit und Freiraum und Gott, der mich gehalten und getragen hat - um zu mich zu verlieren. Aufzugeben. Nicht mehr zu wollen.

Für Vorwürfe. Angst. Und Tränen. Unendliche, frustrierte, vorwurfsvolle, tief verzweifelte Tränen.

Einfach da zu sitzen und nicht mehr stark zu sein. Sondern unter alldem zusammenzubrechen. An der ganzen Situation, an der ganzen unfassbaren Ungerechtigkeit dieser Sache ... zu zerbrechen.


Um ruhig zu werden. Ein bisschen Frieden zu finden. Und dann aufzustehen und erst mal weiterzuleben, bis diese eine Zukunft eintritt - oder eine andere.



ree

(Jesus in der Gotthard-Kapelle am Mainzer Dom)



Gebet


"Ich habe mal dieses Zitat gelesen:

Ich weiß, dass Gott nie mehr von mir verlangen wird, als ich ertragen kann. Ich würde mir nur wünschen, er würde mir nicht so viel zutrauen. (Mutter Teresa)

Das Zitat ist so sch***e! Es fühlt sich so unehrlich, so unecht, so scheinheilig an. Ich weiß, dass ich nicht mehr zugemutet bekomme, als ich tragen kann. Danke dafür! Aber das ändert nichts daran, dass ich diese Schmerzen habe. Dass es mir sch***e geht. Dass ich nicht weiß, wie es weitergehen wird. Dass ich Angst vor der Zukunft habe. Dass ich nicht weiterweiß. Dass ich nicht weiterwill.


Ich hasse es. Ich hasse diese Schmerzen, die ich nicht mal mehr erfassen, nicht lokalisieren, nicht benennen kann, so schwer sind sie. Ich hasse es, dass ich Schmerzen bekomme, selbst wenn mich jemand berührt, um mir Gutes zu tun. Ich hasse es, dass ich den ganzen Tag weinen möchte, weil es so unendlich schmerzhaft ist.


Ich kann nicht mehr. Ich möchte nicht mehr. Ich bin müde. Körperlich müde. Psychisch müde. Es tut mir Leid für die Menschen, die gut zu mir sind, die mich unterstützen möchten, die mir helfen möchten: es geht einfach nicht mehr. Ich kann nicht mehr stark sein.


Warum? Warum? Warum? W A R U M ???

Ich weiß, ich habe nichts getan, weshalb ich das verdiene. Ich hätte es getan haben müssen, als ich noch ein Kind war. Es gibt keinen Grund dafür, dass ich dieses Leid mit mir rumtrage. Keine Schuld, die das verursacht hat. Nichts, wofür du mich so sehr bestrafen wollen könntest.

Und es gibt keinen Grund dafür, dass wir alle [die diese Krankheit haben] dieses Leid tragen müssen.


Was soll das? Warum ist das so?


Warum tust Du mir das an ?


Warum machst du das mit mir?

Warum tust du das den Menschen an, die ich liebe?!

Was soll das?


Ich habe keine Worte für meine Vorwürfe. Aber ich werfe es dir vor. Mein Leid. Das Leiden der Menschen, die mich lieben. Ich werfe dir vor, dass du all das ... zulässt. Nicht beendest. Dass es passiert, obwohl du da bist. Obwohl du Gott bist. Obwohl du angeblich so barmherzig, gütig, freundlich bist.

Ich werfe es dir aus tiefstem, verbittersten, verzweifeltesten Herzen vor. Und er wiegt schwer, dieser Vorwurf. Er wiegt so schwer wie das Universum, das du erschaffen hast. So unendlich schwer werfe ich dir das hier vor!


Ich würde dich gerne dafür hassen, aber ich tue es nicht. Ich weiß, du kannst meine Wut, meinen Hass - meinen wirklich abgrundtiefen, schwarzen, alles erdrückenden Hass auf diese Krankheit, auf die Schmerzen, auf mein Schicksal, auf meinen Körper - und ja, doch, auch auf dich! - ... du kannst sie aushalten. Du kannst sie tragen. Du kannst sie mir verzeihen. Du siehst in mein Herz. Du siehst, dass ich diesen Hass brauche, um nicht wie ein Häufchen Elend hier vor dir zu liegen und nie wieder aufzustehen.

Du kannst mir den tiefen, überwältigenden Sturm an Gefühlen in meinem Inneren verzeihen. Ihn ertragen.


Wut. Frust. Hoffnungslosigkeit. Verzweiflung. Angst. Unfassbare, unzubändigende, die Luft abschneidende Angst. Irrational. Diffus und ohne Richtung. Überwältigend.


Ich sitze hier. Froh, dass niemand das Leid in meinem Gesicht sehen kann. Die Tränen auf meinen Wangen. Meine Hände über meinem Gesicht. Meine verkrampften Schulter. Meine zusammengekauerte Haltung. Zitternd. Mich wiegend. ...


Kein Mensch kann mich in diesem Leid tragen. Niemand. Es ist zu groß für jeden Menschen.


...


Ich kann hier sitzen, erschöpft wie ich bin. Und einfach sein. Akzeptieren, dass ich das nicht mehr tragen kann. Dass es auch für mich zu groß ist. ...


Und ich kann mich tragen lassen. Von dir. Halten lassen. Ich kann in deinen Händen geborgen sein.


...


Sei bei mir, wenn ich aufstehe. Sei bei mir, wenn ich gehe.


Ich bitte dich nicht um Kraft, um all das durchzustehen. Denn es gibt keine Kraft, die dafür reichen würde.

Ich bitte dich nicht um Hoffnung für meine Zukunft. Denn ich kann nur aushalten und abwarten.

Ich bitte dich nur, bei mir zu bleiben. Da zu sein. Mich in deiner Ganzheit und deiner Allmacht zu umarmen und zu halten.


Dreimal bist du, Jesus, auf deinem Kreuzweg gefallen. Hier sitze ich vor dir. Gefallen. Wieder. Zum zweiten Mal? Zum dritten Mal. Vielleicht werde ich wieder fallen. - Wenn all das nicht endet, wenn es zur schlimmsten Zukunft kommt, dann werde ich noch unzählige Male fallen. Ich weiß, vor dir darf ich das tun. Vor dir kann ich es. Ich werde fallen. Vor dir liegen.


Und mit dir weitergehen.



In deine Hände lege ich meinen Geist. [Lk 23,44]


"


Das Ziel des Gebets ist es, dass wir nach allem, was wir Gott gesagt haben, in die Stille kommen. Bei Gott allein kommt unsere Seele zu Ruhe.

(Anselm Grün)



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