Raus aus der IT, rein in eine christliche Auszeit...
- Gottes Geschöpf (aka bemindfulhopelove)
- 9. Jan. 2022
- 6 Min. Lesezeit
"Wir sind jetzt 'agile'. Wir hören jetzt auf unsere Mitarbeiter. Es sei denn, uns passt die Expertenmeinung nicht. Dann wird's halt doch gemacht, wie wir das sagen!"
Das war ungefähr das, was bei meinen Kollegen ankam, als wir Ende letzten Jahres über viele Wochen hinweg einen Lösungsvorschlag für ein technisches Thema erarbeitet hatten - mit PowerPoint-Folien, Workshops, Überstunden und viel persönlichem Engagement. Und die Antwort darauf war: Nö. Unser Vorstand will das anders. Und überhaupt: das war keine gute Arbeit, wenn's nicht zu unserer Meinung passt! [Ergänzend: Tatsächlich war das dann gar nicht die wirkliche Meinung unserer Führung.]
Der Frust war groß. Der menschliche Umgang auch auf (glücklicherweise) einzigartige Weise wenig respektvoll.
Und die Überstunden wurden nicht weniger, sondern mehr.

Und das war noch vor log4j ...
Ich erlebe IT immer wieder als ein menschlich herausforderndes Umfeld.
Überstunden. Nacharbeit. Wochenendarbeit, auch sonntags. Menschen, die Ärger bekommen, wenn sie nachts um 3 Uhr einen einzigen Fehler machen - und damit anderen viele Stunden Arbeit bereiten. Obwohl sie kompetent sind. Weil Menschen um diese Uhrzeiten müde sind. Manches ist notwendig. An anderen Stellen trifft man immer wieder auf mangelndes Verständnis für menschliche Arbeitszeiten.
IT im Finanz- und Wirtschaftswesen ist systemrelevant. Kein Scherz. Ohne IT funktioniert im Finanzwesen sehr wenig. Ohne Geldverkehr wird es in unserer Welt schwierig.
Für mich persönlich waren die Herausforderungen in der zweiten Jahreshälfte letzten Jahres vor allem, die Kollegen zu motivieren, die in unglaublicher Anstrengung ihr komplexes System erklärt und die Lösungsmöglickeiten aufgearbeitet hatten - um dann unter dem subjektiv empfundenen Vorwurf schlechter Arbeitsqualität gefühlt von vorne anfangen zu müssen. Den Unmut auszuhalten. Zu verstehen. Weiterzumachen. Unter eigenen Überstunden, immer und immer wieder.
Dann kam log4j. ...und IT im Finanzwesen ist systemrelevant...
Es ist ein IT-Notfall. Ein betrieblicher Eilfall. Systeme müssen gefixt werden. Ein Fix. Zweiter Fix. Vorher muss geschaut werden: Was ist betroffen? Und dann erst beginnt die Suche nach möglichen Hacks...
Kurz vor Weihnachten wurden alle anderen Themen fallen gelassen. Kurz vor Weihnachten wussten wir alle nicht, wie viele (weitere) Überstunden anfallen würden. Nur, dass wir die Notwendigkeit gar nicht diskutieren müssen. Weil wir selbst die Relevanz dieser Themen kennen. Kurz vor Weihnachten mussten alle betroffenen Mitarbeiter ihre Telefonnummern hinterlassen.
Denn ein betrieblicher Eilfall bedeutet, dass die normalen Arbeitszeitgesetze nicht mehr greifen. Urlaube können storniert werden (was bei uns nicht gemacht wurde - wir waren nur für den Notfall telefonisch erreichbar). Nachtarbeit kann unmittelbar angeordnet werden. 60 Stunden sind nicht mehr die Obergrenze der wöchentlichen Arbeitszeit. 10 Stunden nicht mehr die der täglichen Arbeitszeit. 11 Stunden Ruhezeit müssen nicht mehr eingehalten werden. Man darf auch mehrere Sonntage hintereinander arbeiten. Mehrere Samstage ohne Ausgleichstag unter der Woche. Die Nächte sowieso. Nichts davon muss extra genehmigt werden, wenn der betriebliche Eilfall offiziell ausgerufen wurde.
ITler müssen so zuverlässig funktionieren wie die Technik.
Unser Unternehmen nimmt Mitarbeiterschutz durchaus ernst. In solchen Fällen sind wir froh, in einem Unternehmen mit menschlichen Werten zu arbeiten. Denn IT sieht auch in Deutschland oft schlimmer aus.

(Rorate-Messe im Limburger Dom)
Beten für ITler.
Wir haben dienstags Eucharistische Anbetung in unserer Gemeinde. Gegen Ende können wir immer persönliche Fürbitten aussprechen.
Ich bitte immer wieder: Um Verständnis mancher Führungskräfte für die menschlichen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter. Für weniger Arbeitsverdichtung. Für weniger Überstunden. Für mehr Miteinander, statt Gegeneinander.
Und ind er Woche vor Weihnachten speziell: Dafür, dass wir alle trotz log4j gute Weihnachten haben. Familiäre, ruhige Weihnachten. Wochenenden. Feierabende.
Es kommt oft vor, dass wir nach den Fürbitten ins Gespräch kommen. Meine Welt - sie ist eine Welt hinter den Kulissen. Eine Welt, die für die meisten Menschen nicht wahrnehmbar ist. Eine Welt, von der man annimmt, sie würde immer funktionieren, weil die Technik verlässlich sei. Dabei sind es oft die Menschen hinter der Technik, die funktionieren. Eine Welt, in der wir nachts patchen - weil ein potentieller Kunde nicht wiederkommt, wenn tagsüber die Webseite 5 Minuten lang nicht funktioniert. Eine Welt, in der vieles nicht automatisierbar ist. In der kleine Probleme zu existenziellen werden können.
Darüber zu sprechen öffnet manchmal die Augen für einen Leidensdruck, der nicht gesehen werden kann - auch nicht von der Kirche.
Predigten.
Sie gehen oft an meinem Alltag vorbei.

Manchmal reicht reden nicht.
Ich bin froh darüber, dass wir miteinander ins Gespräch kommen über diese unsichtbare Welt hinter den Kulissen.
Aber Ende letzten Jahres war er da: der Punkt, an dem der Frust nicht mehr aushaltbar war. Ein Schlag vor den Kopf zu viel. Ein frustirierter Kollege zu viel. Ein Mal zu viel, das es heißt: aufstehen, weitermachen, weiter daran glauben, dass wir etwas bewegen mit dem, was wir tun. Einmal mehr anderen zeigen: wir gehen weiter. Gemeinsam. Wir schaffen das.
Auftanken. Im Glauben.
Ich habe mit vier Wochen Auszeit genommen. Auf meiner Liste standen:
- ThiF (Theologie im Fernkurs) weitermachen (es hatte sehr unter den unendlich scheinenden Überstunden gelitten)

- Orientieren: Wie soll es weitergehen?
Möchte ich die Arbeit weitermachen? Möchte ich mir das weiter antun? Nicht nur die Belastung. Auch den Frust und die Vorwürfe anderer Kollegen, wenn ich sage: wir kriegen das hin! Oder anders herum: Wenn ich gehe: ist das Gottes Wille? Hinterlasse ich eine Stelle leer, an der ich für andere eintrete - die mit jemandem gefüllt werden wird, der diese Werte nicht vertritt? Der für andere nicht aus simpler Nächstenliebe heraus eintritt. Sondern aus Machtgründen. Oder gar nicht.
Und: Wie möchte ich mich christlich weiterentwickeln? Das ThiF mache ich aus persönlicher Neugier (es ist eher mein "roter Faden", anhand dessen ich mich durch Glaubensfragen hangele...). Aber ich könnte es auch machen, um später Gemeindereferentin zu werden. Nebenberuflich. Hauptberuflich. Vielleicht, nach dem synodalen Weg: Diakonin? Ich könnte ins Ehrenamt gehen. Gottesdienstbegleiterin. Wunsch-Erfüllerin. Patin für unsere Flüchtlinge. Oder mich mehr in der Kirche engagieren: Feste Kantorin werden. Lektorin. Oder einfach unterstützen, wo konkret Unterstützung benötigt wird. Oder in Gremien gehen. Welche Wege wären meine? Welche möchte ich erkunden - mich informieren, Gespräche führen, vielleicht irgendwo mitgehen...
Wie sieht es finanziell aus, wenn ich meine Arbeit reduzieren würde. Auf der einen Seite im "echten Leben" bleiben (IT). Auf der anderen Seite mehr Zeit für das echte Leben (Gott und die Menschen).

...also: meine Auszeit mit Gott. :)
Ein Teil meines manchmal überwältigenden Frusts kam daher, dass ich gesehen habe, wie sehr meine Arbeit den Rest meines Lebens vereinnahmt hat. Wie ich nicht mehr ausreichend Zeit hatte, um die Messen vorzubereiten, die ich musikalisch begleitet habe. Wie ich Zeit "abknapsen" musste, alleine nur, um die BibelChallenge (die gesamte Bibel lesen in einem Jahr) weitermachen zu können. Wie ich abends oft noch zu müde war für die Anbetung und manchmal fast in den unbequemen Bänken eingeschlafen bin. Wie ich abends einfach zu müde war für die Lehrbiefe aus dem ThiF.
Das, was mir im Privaten besonders wichtig war. Die Beschäftigung mit meinem Glauben. Die Menschen um micht herum. In Gottes Gegenwart zu sein.
Es ist alles verpufft unter den Anforderungen meines Jobs.
Drei Wochen liegen hinter mir.
Eine halbe Woche habe ich noch frei. Den Rest der Woche habe ich mir auf der Arbeit für meine persönliche Weiterentwicklungsmaßnahme geblockt - es wird noch nicht gearbeitet, es geht um zwischenmenschliche Themen.
Die erste Woche stand im Zeichen des "Für andere da seins". Ich habe für andere gebacken. Für andere eingekauft. Für andere Dinge organisiert. Für andere gesungen. Andere Menschen besucht. Unterstützt. Ich war menschlich da. Habe menschlich versucht, ein Mehrwert zu sein, wo ich persönlich mehr Wert stiften konnte.
Die zweite Woche drehte sind rum um die Feier der Geburt Christi. Rorate. Weihnachten. Die acht Tage nach Weihnachten. Sternsinger-Begleitung und Singen vor drei Altenheimen. Gemeinsame Anbetung um Mitternacht an Silvester. Neujahrsmesse. Drei Könige...
Die dritte Woche wurde ganz von selbst geprägt davon, zu mir zu finden und meine Beziehung zu Gott zu gestalten. Und auch dazu, das Wort Gottes an mich heranzulassen. In der Bibel. In der Beschäftigung mit den Worten der Bibel. In der Beschäftigung mit den Hintergründen dazu.
Wie es weitergehen wird...
...das ist für mich offen. Ich weiß es nicht. Nächste Woche wird der erste Eindruck meines Jobs wieder auf mein Leben prallen. Ich habe überlegt, wie ich meine christlichen Werte und meine Arbeit besser zueinander passend machen kann. Wie ich der Arbeit mehr Rahmen, dem Glauben mehr Raum gebe.
Und welcher Weg der richtige ist.
Wie vereint man die weltliche Welt und den Glauben?
Ich habe keine Lösung.
Aber wie immer: ich weiß mich auf dem Weg. Auf Gottes Weg.
Getragen. Gelenkt, solange ich offen und hörend bleibe. Und vor mir bilden sich Abzweigungen, die vielversprechend wirken...
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