Den Weg finden, wenn das Leben sich wandelt...
- bemindfulhopelove
- 13. Juni 2021
- 7 Min. Lesezeit

(Von innen, aus dem Haus unseres Lebens,
können wir immer nur einen Ausschnitt des Lebens
außerhalb unserer eigenen Wände wahrnehmen...)
1.
Ich habe letztes Jahr mit meinem damaligen Partner Schluss gemacht und bin ausgezogen.
Das war keine Entscheidung, die ich zu irgendeinem Punkt getroffen hatte, weil ich ihn grundsätzlich total doof fand oder weil ich mir sicher war: "So geht das jetzt nicht weiter!"
Es war ein Weg, an dessen Ende ich ein anderes Leben hatte.
Ein Weg, auf dem ich mich an die Hand genommen und geführt gefühlt habe.
Den ich Schritt für Schritt gegangen bin. Und auf dem ich "im Vorbeigehen" den größten Umbruch in meinem Leben seit vielen Jahren erlebt habe.
In ein neues Leben hinein, in dem ich mich heute unglaublich zuhause fühle.
2.
Meine Beziehung war eigentlich ursprünglich "für den Rest unseres Lebens" gedacht und angelegt. Ich habe viel Zeit, Energie und auch manches an Geld in meine Beziehung investiert. Wir waren davon ausgegangen, dass wir heiraten würden. Haben versucht, Kinder zu bekommen. Unser Leben aufeinander ausgerichtet...
Es ist weder zur Hochzeit, noch zu Kindern gekommen.
Aber das wären für mich keine Gründe für eine Trennung gewesen.
Es gab einfach keinen Punkt, an dem ich beschlossen habe... ja, was? Ich könnte nicht mal sagen, was ich hätte beschließen können oder sollen. Natürlich gab es zeitweise einen gewissen Frust. Aber - solche Zeiten gibt es nun mal.
Tatsächlich gab es nicht einmal den Punkt, an dem ich entschieden hatte, dass ich Schluss machen würde. Es gab nur den Punkt, an dem - ohne Vorwarnung, ohne das zu planen oder aktiv darüber nachzudenken - ganz plötzlich klar war, dass es keinen weiteren gemeinsamen Weg mehr gibt.
3.
Wenn ich früher nach Limburg gefahren bin (zum Bummeln, wandern, Shoppen... oder einfach, weil das meine Heimat ist...), hatte ich immer die Angewohnheit, in den Dom zum Beten zu gehen.
Das war die Schlüsselsituation, letztlich... Ich saß in der Kapelle, einfach ganz still, ohne aktiv zu denken, ohne zu beten... Und da wusste ich: vor mir liegt ein Weg. Den ich nicht sehen konnte. Dessen Ende ich nicht kannte. Nicht einmal die Richtung.
Ich bin ihn gegangen. Schritt für Schritt. Tag für Tag.

(Facebook-Post an dem Tag in der Kapelle... [Scrum ist so ein IT-Ding...])
Am Anfang des Weges war keine Kreuzung mit einem Schilderwald: "Beziehungsende (100m), Umzug (200m), links" "Beziehung weiterführen, heiraten, ... (30km), rechts"
Gestern Abend habe ich einem Freund von mir geschrieben: "Wenn mir einer das alles vor nem halben Jahr gesagt hätte, ich hätte es nicht geglaubt."
...wenn mir jemand letzten Sommer in der Kapelle das Leben, das ich heute führe, beschrieben und das als meine Zukunft bezeichnet hätte: ich weiß nicht, ob ich dann überhaupt die Kraft und Energie für diesen Weg aufgebracht hätte. Ob ich ihn überhaupt begonnen hätte.
Ob ich das Vertrauen gehabt hätte, loszugehen.
4.
Für mich persönlich, wie für viele andere Menschen ja auch, ist es sehr essenziell, einen Mehrtwert im Leben anderer zu stiften.
Keine Kinder, keinen Partner... das muss ja nicht gleich bedeuten, dass das eigene Leben keinen Sinn hat. Aber es nimmt doch einen starken sinnbildenden Faktor aus dem Leben heraus. Dazu mus man nicht mal gläubig sein.
Dieser Faktor macht Angst. Mir jedenfalls. Einen Weg zu gehen, an dessen Ende man irgendwie... nutzlos ist, nicht für andere da sein kann, keinen Wert mehr einbringen kann... an dem sich das Leben leer anfühlt... einen solchen Weg hätte ich nicht gehen können.
Die Sache mit dem Sinn des Lebens ist nur - vor der Veränderung in meinem Leben hätte ich angenommen, dass ich den Sinn in meinem Leben sehr umfassend verlieren und ihn mir grundlegend wieder aufbauen müsste.
Ich hätte auch schlicht den Sinn in diesem neuen Leben nicht gesehen - und auch gar nicht sehen können. Mir fehlte der Blick auf Facetten, die ich selbst jetzt nicht von selbst erkennen kann, sondern erst sehe, wenn andere mich darauf hinweisen. Wenn sie mir helfen, diesen Sinn zu bemerken.
Gestern habe ich Mozarts Ave verum in einer vollen Kirche gesungen. Anschließend haben mich viele Menschen für meinen Gesang gelobt und sich dafür bedankt. Wunderschön hätte ich gesnugen!
Berührt haben mich aber zwei Frauen, die auf mich zugekommen sind, um mir zu sagen, wie sehr mein Gesang sie berührt hat.
Ich hasse es, alleine zu singen. Ich bin selbst während ich singe oft derart nervös, dass nicht nur mein ganzer Körper, sondern auch meine Stimme zittert.
Aber wenn ich mit meinem Gesang (der ganz bewusst auch die Worte und die Botschaft hinter den Worten transportieren soll) die Menschen im Herzen berühren kann, sodass sie sich Gott näher fühlen... selbst wenn es keine volle Kirche ist, sondern nur zwei oder drei Menschen... selbst wenn es keine Massen erreicht, aber wenige sich dadurch in ihrem Glauben zuhause fühlen... dann kann ich mit diesem Geschenk, das mir gemacht wurde: meiner Stimme, Sinn stiften. Ich kann die Menschen damit erreichen. Ich kann ihnen Nähe zu Gott schenken. Und häufig auch Freude, Gemeinschaft, Frieden ... Ich würde es inzwischen auch als Falsch empfinden, dieses Geschenk nur für mich zu behalten.

(Annakirche vorm Gottesdienst)
Ich habe den Sinn, den ich vorher in meinem "alten Leben" hatte, auch gar nicht komplett verloren. Einiges ist geblieben. Manches stärker geworden (ich habe mehr Zeit für meine Eltern, für mein Patenkind, für meine Schwester...). Anderes hat sich gewandelt (mein Blick auf meine Aufgaben und meinen Nutzen auf der Arbeit für meine Kollegen, zum Beispiel).
Anderes ist dazu gekommen. Ich hätte in meiner Beziehung nicht die Zeit gehabt, mich in unsere Gemeinde einzubringen. Ich hätte viele gute Gespräche nicht geführt. Ich hätte mich, auch musikalisch, nicht auf so etwas wie das 24-Stunden-Gebet für Geistliche Berufungen vorbereiten können...
Und wo ich früher nur für einige Menschen Sinnvolles tun konnte, erreiche ich heute sehr viele Menschen.
Ich kann mit meinen spezifischen Fähigkeiten Sinn für andere stiften. Auf Arten, auf die andere nicht Sinn stiften können, weil wir schlicht alle verschiedene Talente haben und in unterschiedliche Lebenssituationen sind.
Vielleicht braucht die Stelle, an der ich früher war, niemanden mehr. Vielleicht tritt hier ein Wandel zu etwas Anderem, ebenfalls Gutem ein. Vielleicht füllt auch jemand anderes diese Stelle in Zukunft. Vielleicht gibt die Lücke, die ich hinterlasse, einem anderen Menschen die Chance, das eigene Leben auch als sinnstiftend zu erfahren. Vielleicht hätte ich, wenn ich meine Zukunft an dieser Stelle verbracht hätte, auch blockiert, dass andere Sinn in ihrem Leben finden.
Gottes Wege sind unergründlich.
Gottes Wege zu gehen bedeutet auch, darauf zu vertrauen, dass unser Leben durch die Veränderung nicht weniger sinnhaft sein wird.
Und darauf zu vertrauen, dass etwas Gutes an der Stelle wächst, an der ich einen freien Platz hinterlasse.
Wir verlieren nicht. Es wandelt sich nur.
Wir wissen vorher nicht, welchen neuen Sinn wir erfüllen werden - auf eine Weise, für die vielleicht gerade wir die richtigeren Talente besitzen.
Wir wissen auch nicht, welche Lücke wir lassen, wenn wir uns eben gerade nicht trauen, neue Wege zu gehen.
Weil wir einen Platz hätten füllen können, der leer bleibt, wenn wir ihn leer lassen.
Ich weiß nicht, ob gestern in der Kirche dieselbe Stimmung entstanden wäre, wenn ich nicht heute an diesem Punkt meines Weges wäre - und deshalb gestern singen durfte.
Vielleicht hätte jemand diesen Platz ebenfalls sehr wundervoll ausgefüllt. Und vielleicht wäre er leer geblieben.
5.
...es war ein Weg, den ich gegangen bin. Ich stehe heute in einem Leben, in dem ich mich sehr geborgen, getragen und aufgehoben fühle. Mit Menschen, die für mich da sind. Für die ich da bin.
Doch absehbar war das für mich nicht.
Letzten Sommer saß ich in der Kapelle und wusste nur, dass da ein Weg vor mir liegt. Ich habe mir überlegt, welche die nächsten Schritte sein könnten. Kleinere. Größere.
Ich bin die Schritte gegangen und habe in mich hineingespürt: wie fühlt sich das an? Ist das noch ein Schritt, der auf meinem Weg liegt? Oder bin ich rechts oder links davon gelandet? Ist es die richtige Richtung?
Wie würde der nächste Schritt von hier aus aussehen? Wohin könnte er mich führen?
Auch: wer kann mich auf meinem Weg begleiten?
Einer der ersten Schritte war, in der Beziehung erst mal weiterzumachen. Einen gemeinsamen Kurzurlaub zu nutzen, um abzutasten: passt das zwischen uns grundsätzlich noch? Ist es nur der Alltag und die Belastungen der vorherigen Monate, die uns bedrücken? Oder ist es grundsätzlicher? Passt es auch dann nicht mehr, wenn wir eigentlich entspannt sein und uns nur auf uns beide konzentrieren könnten?
Der nächste Schritt war ein Stück Rückzug. Um Abstand zueinander zu finden. Zu sich selbst zurückzufinden. Zu schauen: hilft es, wenn wir uns weniger "auf die Füße treten"?
Ein Schritt dabei war für mich auch, an den Ort zurückzugehen, der meine Heimat ist. Was macht das mit mir? Ist es das Richtige oder ist es nur Wunschtraum und Illusion, zu glauben, dass dadurch "alles besser wird"?
Und ein weiterer Schritt auf diesem Teil des Weges war auch, mehr Zeit mit Familie, Freunden und alten Hobbys zu verbringen. Auch: wieder regelmäßig in die Kirche zu gehen. Bin das noch ich? Oder ist es das falsche Leben? War früher vielleicht vieles besser - aber in einem anderen Lebensabschnitt, in dem ich eben nicht mehr bin? Oder hatte ich mich in meinem Leben zu dem Zeitpunkt zu sehr von dem entfernt, was mich ausmacht?

(Ein Schritt, noch ohne Ziel, geprägt von viel Unsicherheit...)
Es war eine sehr unsichere Zeit. Ich habe immer wieder Angst gehabt - diffus, ohne direktes Ziel.
Geholfen hat mir, dass ich in dieser Zeit sehr regelmäßig in die Kapelle zurückgekehrt bin. Einfach nur, um da zu sein. Da zu sitzen. Zu schweigen. Zu hören. Ruhig zu werden.
Und so konnte ich immer wieder das Vertrauen finden, weiterzugehen.
Nicht unbedingt die Kraft - ich brauchte keine Kraft, denn ich habe nie nach vorne geschaut in die möglichen Zukünfte. Sondern immer nur nach unten auf meinen nächsten Schritt.
Aber eben - Vertrauen.
Nicht jeder Schritt ist geglückt. Manches Mal bin ich umgekehrt und zurückgegangen. Das hat Kraft gekostet. Manchmal sehr viel. Aber es waren immer Menschen an meiner Seite, die mich dann gehalten, gestützt und begleitet haben.
So bin ich Schritt für Schritt diesen Weg gegangen. Und stand dann doch irgendwie an der Kreuzung, an der zwei Wege vor mir lagen...
Und in dem Moment war plötzlich klar: der eine Weg ist meiner, der andere ist es nicht.
Es war keine Entscheidung. Vor allem keine: gegen einen Weg. Es waren ein Ziel und ein Leben, die vor mir lagen - und zwar eben auf dem anderen Weg.
6.
Ich denke nicht, dass ich am Ende dieses Weges angekommen bin. Ich bin noch auf diesem Weg.
Aber ich stehe vor diesem neuen Leben und bin ... verwundert über die Fülle darin. Ich bewundere die Schönheit und eben auch die Erfüllheit dessen, was ich hier habe.
Ich hätte es mir selbst vorher so nicht ausdenken können. Ich hätte es mir nicht vorstellen können.
Manchmal muss man wohl doch kopflos wandern. Und mehr mit Vertrauen.
"Mit großem Glauben und kindlichem Vertrauen auf Deine Barmherzigkeit und Liebe legen wir [unser Leben] in Deine Hände und bitten Dich um Deinen Segen."
(Abschlussgebet in der Anbetung dienstags im Limburger Dom...)










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